Griselda
Linda Bennett, Griselda, Königin, Ehefrau von Gualtiero
Jan Jerlitschka, Gualtiero, König von Sizilien
Judith Kaiser, Costanza, Prinzessin, ihre Tochter
Emma Erchinger, Roberto, jüngerer Bruder von Corrado
Clara Schneider, Ottone, sizilianischer Adeliger
Martin Höhler, Corrado, Fürst von Apulien
Accademia degli Affetti
Studierende des Studiengangs "Maestro al Cembalo", Leitung
Arianna Radaelli, Gesamtleitung
ACCADEMIA DEGLI AFFETTI
Barockvioline: Rahel Wittling, Luise Kallmeyer, Angela Luis, Alvar Tife, Zihan Deng, Alina Kikhno, Gökçe Duru Tatar, Elisa Schrape
Barockviola: Stefanie Tran Thu, Iris Groh
Barockcello: Lilly Theresia Schnidrig, Raquel Menendez
Violone: Ferdinand Hirschmüller
Traversflöte: Jiaxi Huo, Yi Hao
Oboe: Aude Sandouly, Dennis Brenner
Trompete: Pawel Hadaschik, Benjamin Gühring
Laute: Niels Pfeffer
Cembalo: Riccardo Mancasola
Orgel: Pavlos Mastrogiannis
Musikalische Assistenz Riccardo Mancasola, Pavlos Mastrogiannis
Leitung Arianna Radaelli 17.10/ Riccardo Mancasola 18.10
Griselda bei Scarlatti und Boccaccio
Anlässlich des 300. Todestages von Alessandro Scarlatti und des 650. Todestages von Giovanni Boccaccio präsentiert die Accademia degli Affetti des Forum Alte Musik der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart Scarlattis Oper Griselda in konzertanter Form. Griselda ist die letzte uns erhaltene Oper Alessandro Scarlattis und wurde 1721 im Teatro Capranica in Rom uraufgeführt.
Die Geschichte von Griselda stammt aus der letzten Novelle des Decamerone von Giovanni Boccaccio. Diese Erzählung erlangte in ganz Europa besondere Berühmtheit, da Francesco Petrarca, der sie sehr schätzte, sie ins Lateinische übersetzte und so ihre Verbreitung in der europäischen Literatur wesentlich förderte. Die Figur der Griselda erscheint auch in Erzählungen von Petrarca (Historia Griseldis, veröffentlicht etwa hundert Jahre nach seinem Tod im Jahr 1374) und von Geoffrey Chaucer (The Clerk’s Tale in den Canterbury Tales, Ende des 14. Jahrhunderts). In die Welt der Musik gelangte die Geschichte durch das Libretto von Apostolo Zeno, das von zahlreichen Komponisten vertont wurde. Neben Scarlatti schufen auch Antonio Maria Bononcini, Antonio Vivaldi, Giovanni Bononcini und Antonio Pollarolo Opern auf denselben Text.
Es ist bemerkenswert, wie sich die Gestalt der Griselda im Laufe der Jahrhunderte entwickelt hat. Ursprünglich eine Figur der Volkstradition, verkörpert sie die Tugend der weiblichen Geduld – eine Frau, die ihre Treue zu ihrem Ehemann beweist, indem sie jede Demütigung erträgt. In späteren, moderneren Fassungen verändert sich jedoch ihre psychologische Zeichnung: In Scarlattis Version schließlich wird Griselda zu einer stolzen Frau, die entschlossen für ihre Würde als Frau kämpft und bereit ist, ihr eigenes Leben für das ihrer Kinder zu opfern.
Scarlattis musikalische Sprache lässt diese innere Tiefe deutlich erkennen, insbesondere in den Arien der Protagonistin: Jede ist einzigartig in Charakter und Ausdruck und zeichnet ein vielschichtiges psychologisches Porträt. Die anderen Figuren hingegen erscheinen eher eindimensional: Gualtiero wird durch Arien gemäßigten Charakters beschrieben, Ottone durch ungestüme und leidenschaftliche, während die jungen Liebenden Roberto und Costanza zwischen jugendlicher Liebesfreude und melancholischem Sehnen schwanken. Wie schon in der frühen Operntradition widmet Scarlatti der Hauptfigur mehrere Momente intimer Selbstreflexion. Im großen, von Streichern begleiteten Schlussrezitativ erreicht das Drama seinen Höhepunkt: Hier tritt die Größe einer Frau hervor, die sich der Engstirnigkeit eines egoistischen Ehemanns entgegenstellt.
Nicht zufällig wurden in der römischen Uraufführung von 1721 alle Rollen – männliche wie weibliche – von Männern gesungen, wie es in der päpstlichen Hauptstadt üblich war. Die Kirche verbot Frauen das öffentliche Auftreten, sowohl auf der Bühne als auch in der Kirche. Dieses Verbot, seit dem 16. Jahrhundert durch päpstliche Dekrete festgelegt, beruhte auf Vorstellungen von Anstand und Moral: Eine Frau, die öffentlich sang oder spielte, galt als unschicklich. An ihrer Stelle traten die Kastraten, Männer, deren Knabenstimme durch die Kastration erhalten geblieben war und die über die Kraft und Ausdrucksfähigkeit eines Erwachsenen verfügten. Sie wurden zu den wahren „Primadonnen“ der römischen Oper, zu Darstellern von Königinnen, Prinzessinnen und Liebenden – und prägten eine einzigartige vokale und theatralische Ästhetik. Die Darstellung einer so starken weiblichen Figur durch einen Mann hebt die tragische Kraft der weiblichen Perspektive noch stärker hervor.
In der musikalische Sprache Scarlattis wird das Instrumentarium der Barockmusik sehr eng an die gesprochene Sprache heranführt. Sowohl das musikalische Material als auch der Einsatz des Orchesters werden zu einem literarischen Gemälde, das den Text in allen seinen Bedeutungsnuancen wiedergibt. In jeder Arie ist der Text sorgfältig hervorgehoben und von den Instrumenten ausgedeutet: Die Streicher, oft als Fundament im Generalbass tätig, bilden eine dichte harmonische Schicht, die die Stimme trägt. Die Violinen, die gelegentlich in Unisono oder in der Oktave über der Singstimme spielen, legen wie ein Lichtschein über das gesungene Wort. Die Oboen verleihen den Klangfarben Glanz, Energie und Intensität, während die Flöten eine eigene Atmosphäre schaffen – sie malen die seelische Landschaft, das Leben und die Gedanken einer Griselda, die, um alles beraubt, nur noch ihr Leben behält. Man denkt dabei unwillkürlich an den Besuch Johann Joachim Quantz’ in Rom im Jahr 1724, als er Scarlatti – ein Jahr vor dessen Tod – persönlich kennenlernte.
Die Kraft und rhetorische Präzision von Scarlattis Musik verlangen von den Interpreten eine außerordentliche Wandlungsfähigkeit, eine Fähigkeit, das Affektbild von einem Moment zum anderen völlig zu verändern – eine Herausforderung, die nur wenige andere Komponisten in diesem Maße stellen. Scarlattis kontrapunktische Meisterschaft, verbunden mit seiner außergewöhnlichen Gabe, Affekte, Bilder, Gedanken und rhetorische Wirkungen in Musik zu übersetzen, erzeugt eine dichte, vielschichtige Struktur von überwältigender Komplexität und Schönheit. Diese Kunst ging im Verlauf des 18. Jahrhunderts allmählich verloren, als sich die Opernform und der Stil zunehmend standardisierten und der Fokus stärker auf die Bühnenwirkung und äußere Virtuosität gerichtet wurde.
Wir feiern also dieses doppelte Jubiläum mit einer Geschichte, die sich in ganz Europa in vielen Sprachen verbreitet hat – und nicht zuletzt in der Sprache der Musik, die den reifen Alessandro Scarlatti inspirierte, sein ganzes rhetorisches und musikalisches Genie in vollkommener Freiheit zu entfalten.
Accademia degli Affetti
Die Accademia degli Affetti ist ein Projekt des Forum Alte Musik der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart. In diesem Projekt haben die Studierenden die Möglichkeit, gemeinsam mit Lehrenden der Hochschule sowie eingeladenen Gastdozentinnen und -dozenten zu musizieren.
Ziel der Projekte ist es, den Studierenden alle erforderlichen Hilfsmittel an die Hand zu geben, um Alte Musik nicht nur durch die Aufführung der Werke zu verstehen, sondern auch durch die Auseinandersetzung mit Stil, Klangideal und Ästhetik der jeweiligen Epoche. Auf diese Weise werden alle Beteiligten bewusst und verantwortlich in die Klanggestaltung des gesamten Orchesters eingebunden.
Die Historische Aufführungspraxis hat zudem die besondere Fähigkeit, jede Musikerin und jeden Musiker neugierig und reflektiert zu machen. Sie sind ständig auf der Suche nach der verborgenen musikalischen Bedeutung hinter der Notation, was sie zu echten Künstlerinnen und Künstlern und nicht nur zu Ausführenden werden lässt.
Die Zusammenarbeit mit den Gesangsklassen der Hochschule ermöglichte eine intensive gemeinsame Vorbereitung, an der auch die Studierenden der Cembalo- und Maestro al Cembalo-Klasse beteiligt sind. Sie erhielten die Gelegenheit, sich mit der Organisation eines umfangreichen Projekts auseinanderzusetzen: von der Recherche des Notenmaterials und der Arbeit mit den Studierenden, über die Auswahl und Kürzung der Rezitative, bis hin zur musikalischen Vorbereitung, Einstudierung und Koordination des gesamten Orchesters.
Ein solches Projekt bietet den Studierenden eine wertvolle und praxisnahe Erfahrung, die sie optimal auf eine bewusste und kompetente berufliche Zukunft vorbereitet.
Handlung
Der Hof von Sizilien
Einige Jahre vor Beginn der Oper hatte König Gualtiero aus Liebe die Hirtin Griselda geheiratet. Diese Verbindung, die vom Hof und vom Volk als unwürdig angesehen wurde, erregte Unmut und Empörung. Um den Aufständen Einhalt zu gebieten, ließ Gualtiero glauben, er habe die gemeinsame Tochter Costanza getötet, während er sie heimlich seinem Freund Corrado, dem Fürsten von Apulien, anvertraute.
Nun zwingt ein neuer Aufruhr den König, Griselda zu verstoßen. Sie nimmt diese Entscheidung mit Würde an, doch ihre Treue wird mehrfach auf die Probe gestellt. Unterdessen versucht Ottone, ein Höfling, der Griselda liebt, die Situation zu nutzen, um ihr Herz zu gewinnen. Gualtiero kündigt an, eine neue Königin zu heiraten: Es ist niemand anderes als Costanza, inzwischen fünfzehn Jahre alt und ahnungslos über ihre wahre Herkunft. Sie liebt heimlich Roberto, Corrados Bruder, und verzweifelt angesichts der Pläne des Königs.
Auf dem Land
Griselda, die in ihre bescheidene Hütte zurückgekehrt ist, wird weiterhin von Ottone bedrängt. Corrado bringt ihr heimlich ihren Sohn Everardo zurück, der auf Befehl des Königs wilden Tieren ausgeliefert werden sollte. Doch Ottone droht nun, das Kind selbst zu töten. Unterdessen begegnen sich Costanza und Griselda zufällig und empfinden sofort eine geheimnisvolle Nähe. Um Griselda weiter zu demütigen, befiehlt Gualtiero, dass sie als Dienerin seiner neuen Gemahlin dienen soll.
Im Palast
Ottone lässt nicht von seiner Werbung ab, während Costanza zwischen der Liebe zu Roberto und dem Gehorsam gegenüber dem König hin- und hergerissen ist. Gualtiero quält seine Gemahlin weiter, bewundert jedoch insgeheim ihre Standhaftigkeit. Als er schließlich öffentlich erklärt, Griselda solle Ottone zur Frau gegeben werden, zieht es diese vor zu sterben, anstatt diesem letzten grausamen Befehl zu gehorchen.
Da offenbart Gualtiero, dass er ihre unerschütterliche Treue nur prüfen wollte. Er nimmt Griselda wieder als Königin an seiner Seite an. Ottone gesteht, dass er die Aufstände einzig aus Liebe zu Griselda angestachelt hat. Schließlich enthüllt der König Costanzas wahre Herkunft und gibt sie ihrem Geliebten Roberto zur Frau.
Liebe und Treue triumphieren



















