Vorschau Produktionen

Hans und Grete (UA)

Musiktheater

Premiere 21. Januar 2023 | Wilhelma Theater

Ausgangspunkt Stammheim
Am 18. Oktober 1977 fand man im Hochsicherheitstrakt der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim in ihren Zellen drei tote Inhaftierte, über deren Status sich die deutsche Gesellschaft bis heute nicht abschließend geeinigt hat. Waren es gewöhnliche Kriminelle? Politische Gefangene? Terroristen? Kämpfer für eine bessere Welt?
Was 1968 mit einem Kaufhausbrand als politische Aktion gegen den Vietnamkrieg begann, kulminierte nach vielen Eskalationsstufen in dieser schockierenden Tat. Wie konnte es dazu kommen? Wie konnte der Kampf gegen Krieg selbst zu einem Krieg werden? Und führt „Gewalt gegen Sachen“ als Protestform zwangsläufig zu solch einem Ende?
Die 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts scheiden die Nachkriegs-Bundesrepublik des Wiederaufbaus, die sich nur sehr eingeschränkt den Fragen nach Schuld und Verantwortung stellte von der Bundesrepublik, die nach einem neuen Selbstverständnis suchte, das die Vergangenheit nicht leugnete, aber eine Zukunft möglich machte.
Die Oper „Hans und Grete“ versucht die innere Struktur der „Rote Armee Fraktion“ von der politischen Aktion zum Terrorismus nachzuvollziehen und zu verstehen, was diese Entwicklung heute für uns bedeuten kann.

Das Textmaterial
Der größte Teil der verwendeten Texte sind Originalzitate von Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof, Andreas Baader und Holger Meins aus verschiedensten Quellen wie Briefen, Kassibern, Manifesten, Eingaben, Tonaufnahmen, Interviews. Dazu kommen Zitate aus dem ikonographischen Umfeld der RAF (Leviathan, Moby Dick, Hänsel und Gretel) sowie aus Gerichtsprotokollen, Gesetzen und Arztberichten.

In freier Montage der Zitate werden einige Grundkonstellationen ideologischer / psychologischer / zwischenmenschlicher / zeitgeschichtlicher Art evoziert. Dabei geht es weniger um das Nacherzählen des damals Geschehenen als um den Prozess der Radikalisierung und die Erforschung der eigenen Haltung aus heutiger Perspektive.

Der Körper als Klangquelle
Ein älterer Schauspieler und eine jüngere Schauspielerin werden sich mit den Texten der vier RAF-Leute auseinandersetzen. Die Körperklänge und Körperimpulse der beiden – Sprache, Atem, Herzschlag, Muskelkontraktion etc – werden von Kontaktmikrophonen abgenommen. Die Körper werden in einer Mischung aus Vampirismus und Zwangsernährung akustisch ausgeschlachtet - („Unsere letzte und stärkste Waffe ist unser Körper, ihn haben wir kollektiv eingesetzt.“ Holger Meins) - und diese Impulse vom Sounddesigner Felix Nagl am Abend live elektroakustisch weiterverarbeitet.

Die chinesische Komponistin Huihui Cheng, die u.a. in Stuttgart und am IRCAM in Paris studiert hat, hat dazu Musik für ein 11köpfiges Sängerensemble geschrieben, Projektionen der Protagonisten, Geister, Dämonen, Alpträume. Es wird keine Instrumente geben. Alle Klänge werden von menschlichen Körpern und der Elektronik produziert.

Die beiden in zwei Greenscreen-Räumen gefangenen Schauspieler und die sie bedrängenden Sänger werden von Live-Kameras beobachtet, deren Bilder vom Video- und Lichtdesigner Felix Hecker verarbeitet und im Keying-Verfahren auf eine Silhouette von Moby Dick projiziert werden. Moby Dick, der Leviathan, der Staat, das Ungeheuer, das Ziel.

Besetzung:
Musik Huihui Cheng
Live-Elektronik
Felix Nagl
Licht und Live-Video Felix Hecker
Konzeption Birgit Angele
Libretto Bernd Schmitt
Musikalische Leitung Bernhard Epstein
Regie Bernd Schmitt
Bühne und Kostüme Birgit Angele

Die Frau Lena Entezami
Der Mann Werner Strenger

Studierende der Opernschule und des Studiengangs Neue Musik der HMDK Stuttgart
Sopran Annija Adamsone, Danielle Barash, Dominika Majdanová
Mezzosopran Jasmin Hofmann, Christina Maier, Elena Tasevska
Tenor Leopold Bier, Adam Brusznicki, Lars Tappert
Bariton Will Kim

Weitere Aufführungen am 29. Januar, sowie am 2./3. und 4. Februar 2023