CD Produktionen
CD Resonanz 2020
„Der Wirkung wird sich niemand entziehen können“
Über unser Konzert mit Mahlers 2. Symphonie
„Es klingt alles wie aus einer anderen Welt herüber. Und – ich denke, der Wirkung wird sich niemand entziehen können.“ So urteilte Gustav Mahler selbst über seine 2. Symphonie, als er die ersten Proben dirigiert hatte. Ähnliches empfinde ich jedesmal, wenn ich diesem so überlebensgroßen Stück begegne. Mahler ist ohnehin mein symphonischer Lieblingskomponist, und so war es für mich ein großer Wunsch, gerade dieses Werk in meinem Antrittskonzert zu dirigieren. Ich bin der HDMK Stuttgart sehr dankbar, dass sie das Wagnis mit mir eingegangen ist – denn schließlich ist die Zweite mit ihrem riesigen Besetzungsapparat ein wahres „Monstrum“ mit außerordentlichen Herausforderungen. Es ist aber auch eine Komposition mit großer künstlerischer Strahlkraft, die möglichst viele Beteiligte einer so großen und hervorragenden Hochschule einbezieht, inklusive Bühnenmusik, Chor und Gesangssolistinnen.
Ich habe immer wieder beobachtet, dass die unverstellte Emotionalität von Mahlers Musik gerade junge Menschen begeistert. Auch das war ein Grund, die Zweite auszuwählen. Wer dieses grandiose Stück zum ersten Mal hört, vergisst das Erlebnis nie – und erst recht nicht, wie es sich anfühlt, in jenem großen Welttheater mitzuwirken. Wie Mahler selbst sagte: „Man wird mit Keulen zu Boden geschlagen und dann auf Engelsfittichen zu den höchsten Höhen gehoben.“ Die Zweite greift nach den Sternen: Der Himmel selbst ist der Sehnsuchtsort, ist die Erfüllung der menschlichen Existenz. Zweifach öffnet sich der Himmel hier: schon im „Urlicht“, dann im Finale, dieser gewaltigen Apotheose der Auferstehung.
Die Inspiration zum bombastischen Chorfinale hatte Mahler bekanntlich 1894 während einer Trauerfeier für den großen Dirigenten Hans von Bülow im Hamburger „Michel“. Ich stelle mir diesen Moment wirklich als magisch vor: Wie sich die Energie eines eben verstorbenen Menschen, eines bedeutenden Künstlers „wie ein Blitz“ (Mahler) in Kreativität verwandelt, um ein noch größeres Werk zu ermöglichen. Vielleicht glüht ein Funken dieses Blitzes noch in jedem Ausführenden, in jedem Hörer, der sich auf die Zweite einlässt – ein Stück, das alle bis dahin gültigen Standards sprengt. Himmel und Hölle treffen schon im ersten Satz aufeinander: In dem unerbittlichen Trauermarsch gibt es mit Choralmotivik und aufwärtsstrebenden Figuren nur kurze Blicke ins Paradies. Scheinbare Idylle gewähren der zweite und dritte Satz, ein schubertnaher Ländler und ein Rückgriff auf das „Wunderhorn“-Lied „Des Antonius von Padua Fischpredigt“. Im „Urlicht“ tritt die menschliche Stimme hinzu und bereitet das exorbitante Finale vor: Jüngstes Gericht, himmlischer Trost und der unbeschreibliche Einsatz des „Aufersteh’n“-Chores.
Für dieses grenz- (und studienfach)überschreitende Monumentalwerk wollten wir bewusst aus dem „geschützen Raum“ einer Hochschule hinausgehen. Das Konzept hat funktioniert, und das Konzert in der Stuttgarter Liederhalle war bis auf den letzten Platz besetzt. Dass der Abend nun auf CD vorliegt, erfüllt mich mit Freude, Stolz und Dankbarkeit. Dem HSO und allen Beteiligten kann ich für diese ausgezeichnete Leistung und das souveräne Musizieren nur ein riesiges Kompliment aussprechen. Ich denke, auch die Studierenden haben schon in den Proben bei aller intensiven und fordernden Arbeit viel positive Energie zurückbekommen – und letztlich vermutlich sogar etwas von der Euphorie empfunden, die Mahler beschwört. Über das Ergebnis bin ich jedenfalls sehr glücklich und hoffe, auch Sie können dies nachempfinden. Unser nächstes gemeinsames Konzert mit symphonischem Großrepertoire ist bereits in Planung.
Prof. Rasmus Baumann