Institut für Musikwissenschaft, Musikpädagogik und Ästhetik

Fakultät I

    zurück

    DISSERTATIONEN

    Laufend:

    ADRIAN ALBAN
    Gustav Mahlers Sechste Symphonie als Kritik der symphonischen Gewalt

    Mahlers Sechste Symphonie (1903–04, UA 1906) ist vom eröffnenden Marsch des ersten bis zu den Hammerschlägen des letzten Satzes geprägt von musikalischen Vokabeln der Gewalt. In der Rezeption (der wissenschaftlichen wie der des Feuilleton) dominieren dementsprechend Deutungen wie Katastrophe, Untergang und Vernichtung.
    In dem Dissertationsprojekt soll der Frage nach der Gewalt von Mahler Sechster nachgegangen werden, wobei davon ausgegangen wird, dass es sich bei ihr um eine Kritik der Gewalt handelt. Dazu wird in einem Theorie-Teil untersucht, wie Musik als Gewalt und wie sie als Kritik verstanden werden kann. In einem historischen und philosophischen Teil wird auf den politischen und musikalischen Kontext der Symphonie eingegangen, der zu Mahlers Sensibilisierung für musikalische und politische Gewalt beigetragen haben könnte. Im anschließenden Analyse-Teil wird dann den Spuren der Gewalt und deren Kritik im Werk nachgegangen. So soll Mahlers Sechste als eine Kritik an der Gewalt durch die Gewalt gedeutet werden.

    Betreuer: Prof. Dr. Andreas Meyer

    FRITHJOF VOLLMER
    Schellack-Sound. Zum Wandel der Interpretationspraxis auf Streichinstrumenten 1900–1950

    Wie klingt Mozart kurz nach dem Ersten Weltkrieg? Tondokumente aus den Jahren 1900 bis 1950 zeugen von aus heutiger Sicht bemerkenswerten Interpretationspraktiken in solistischen Werken für (westliche) Streichinstrumente: Extreme Temposchwankungen, breite portamenti selbst in Werken der „Wiener Klassik“, große Spannbreiten zwischen differenziert und nahezu durchgängig eingesetzten vibrati sowie ein im Vergleich zu heute scheinbar grundlegend liberaleres Verständnis von „Texttreue“. Die (Wieder-)Entdeckung und Analyse dieser frühen und frühesten Klangzeugnisse bedarf jedoch besonderer Vorsicht: Studioaufnahmen sind nicht mit Live-Aufführungen gleichzusetzen; MusikerInnen interpretierten in der Studiosituation mutmaßlich anders als im Konzert, um den (limitierten) Möglichkeiten der frühen Aufnahme- und Wiedergabetechnik gerecht zu werden.
    Das Vorhaben versucht in einem ersten Schritt, generelle Entwicklungslinien über den Verlauf von 50 Jahren, der Entwicklung der Tontechnik sowie möglichen Auswirkungen zweier Weltkriege nachzuzeichnen (Panorama). Hierbei werden auch die Instrumente Viola, Violoncello und Kontrabass sowie die Violine im Jazz in den Blick genommen. In einem zweiten Schritt werden den Interpreten Fritz Kreisler, Georg Kulenkampff und Yehudi Menuhin – als Repräsentanten dreier Generationen von Violinisten – sowie dem Violoncellisten Pablo Casals jeweils eigene Kapitel gewidmet, um individuelle Entwicklungen nachzuvollziehen (Fokus).

    Betreuer: Prof. Dr. Andreas Meyer

    N. ANDREW WALSH
    Labyrinthus: Hic habitat musica. Nichtnotierende Partituren der Nachkriegsavantgarde

    Das Aufkommen der „graphischen Partitur“ oder – angemessener ausgedrückt – der musikalischen Grafik war Mitte des 20. Jahrhunderts ein elektrisierendes Ereignis, das sowohl für Musiker als auch für Komponisten (vor allem im Kreis des Komponisten John Cage und der „New York School“, aber auch in Deutschland und – weniger bekannt – in Japan) die Grundlagen des musikalischen bzw. schöpferischen Ausdrucks in Frage stellte.

    Das Projekt versucht, mit Blick auf die musikalische Avantgarde der 1950er und 1960er Jahre das Phänomen näher zu bestimmen, in seinen verschiedenen Motiven zu charakterisieren sowie zeitgeschichtliche bzw. politische Kontexte aufzudecken. Aus diesem Repertoire soll die musikalische Spielart dessen herausgelesen werden, was in der jüngeren Literaturtheorie als „ergodischer“ Text bezeichnet wird. Das Prinzip des ἔργοδόϛ in der Musik definiert sich nach dem Literaturwissenschaftler Espen J. Aarseth darüber, dass „nontrivial effort is required to allow the reader to traverse the text“, wobei in diesem Fall als Text die Partitur gemeint ist. Im Falle der ergodischen Partitur funktioniert die visuelle Information der Seite – folgt man der Definition von Nelson Goodman – nicht als eine Form von Notation. Da die visuellen Figuren weder mit einem zu erwartenden akustischen Resultat, noch mit einer konkret auszuführenden Aktion korrespondieren, bildet der Vorgang des „Durchquerens“ der Partitur an sich schon einen Teil der musikalischen Aktivität.

    Das ἔργοδόϛ in den Künsten kann als Manifestation einer postmodernen Ästhetik und Philosophie betrachtet werden, die auch soziale Implikationen gehabt hat und – richtig bedacht – noch für die heutige Diskussion relevant ist. Insbesondere soll auch der spartenübergreifende, „interdisziplinäre“ Anspruch der Bewegung deutlich werden.

    Die Arbeit untersucht ausgewählte historische Stationen u.a. in New York City, Köln, Buffalo/NY und Tokio sowie Partituren der Komponisten La Monte Young, Anestis Logothetis, Roman Haubenstock-Ramati, John Cage, Karlheinz Stockhausen und Yoko Ono.

    Betreuer: Prof. Dr. Andreas Meyer

    Abgeschlossen:

    THOMAS SONNER
    „Soundtrack BRD“ – Musik als Aufgabe des Staates und politisches Instrument seit der Wiedervereinigung


    Staatsrepräsentation findet nicht nur durch Flaggen, Behördenschilder oder Münzrückseiten statt. Auch in öffentlichen Veranstaltungen wird der Staat sichtbar – und hörbar. Denn Musik ist bei Staatsakten, Trauerfeierlichkeiten und ähnlichen Anlässen meistens ein unverzichtbarer Programmbestandteil.

    Das Promotionsprojekt will klären, wie sich die Bundesrepublik Deutschland seit 1990 bei Veranstaltungen durch Musik darstellt und welche Intentionen und Kriterien bei der Auswahl der Musikstücke zum Tragen kommen.

    Betreuer: Prof. Dr. Joachim Kremer (abgeschlossen, noch nicht publiziert)

    HANS-JAKOB ZIMMER
    Reiseberichte aus Brasilien im 19. Jahrhundert als Quellen der Musikwissenschaft

     
    Reiseberichte genießen in der musikwissenschaftlichen Forschung einen ambivalenten Ruf: Bisweilen kategorisch abgelehnt aufgrund der zahlreichen Probleme, welche sich aus dem Kontext ihrer Entstehung ergeben, bergen historische Reisebeschreibungen andererseits oft wertvolle Informationen über die musikalische Frühgeschichte vieler Ethnien in der Welt. Gleichzeitig lassen sich Reiseberichte auch als mentalitätsgeschichtliche Quellen über die Reisenden selbst lesen, als Ausdruck zeitgenössischer Denkmuster und Vorurteile im Hinblick auf das besuchte Land.

    In einem kombinierten Ansatz aus quantitativer und qualitativer Analyse untersucht das Dissertationsprojekt für die Musik(en) Brasiliens im 19. Jahrhundert unterschiedliche Herangehensweisen im Hinblick auf die Informationen, welche in zeitgenössischen Reiseberichten enthalten sind. Mit der Umsiedlung des portugiesischen Königshofs nach Rio de Janeiro auf der Flucht vor den Truppen Napoleons lässt sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein sprunghafter Anstieg der europäischen Reiseliteratur aus diesem Teil der Erde verzeichnen: Händler, Söldner und Auswanderer berichten in wachsender Zahl einem interessierten Publikum in der Heimat über ihre Erfahrungen und Eindrücke aus der vormals unter Verschluss gehaltenen Kolonie. In sehr unterschiedlichem Ausmaß kommen in den Texten dabei die europäisch geprägte música erudita in den Küstenstädten zur Sprache, ebenso wie Musik und Tänze (batuque, capoeira) der afrikanischem Sklaven im Umfeld der fazendas im Landesinnern. Darüber hinaus lässt sich in Form der wissenschaftlichen Reiseberichte der ersten Naturforscher, welche in die unerschlossenen Gebiete des Amazonasdeltas vordringen, die Entstehung einer neuen Quellengattung beobachten: Ihre Beschreibungen der musikalischen Praktiken verschiedener indigener Ethnien – teilweise sogar mit Transkriptionen von Melodien und Tänzen – stellen mitunter die einzigen existierenden Informationen zur Musik im brasilianischen Hinterland des 19. Jahrhunderts dar und sind daher von besonderem Interesse im Bereich der Historical Ethnomusicology.

    Betreuer: Prof. Dr. Andreas Meyer (abgeschlossen, Publikation)

    ANNA BREDENBACH
    Geschichten vom Umbruch. Musikgeschichtliche Darstellungen der Jahrzehnte um 1900 in narratologischer Perspektive


    Ausgangspunkt des Dissertationsprojekts ist die Hypothese, dass das Verständnis von Musik und ihrer Geschichte entscheidend von der sprachlichen (und speziell der erzähltechnischen) Verfasstheit der jeweiligen Geschichtsdarstellung geprägt wird. Daher ist es sowohl für das Schreiben als auch für das Lesen von Musikgeschichte von zentraler Bedeutung, sich mit unterschiedlichen historiographischen Erzählstrategien und deren Auswirkungen auf das Verständnis musikhistorischer Zusammenhänge auseinanderzusetzen. Dies soll durch eine Mikro-Analyse musikgeschichtlicher Darstellungen der Jahrzehnte um 1900 geleistet werden. Als methodischer Bezugsrahmen dient dabei die Narratologie, in der sich seit dem Erscheinen von Hayden Whites „Metahistory“ 1973 ein differenzierter Diskurs zum Zusammenhang zwischen Geschichtsschreibung und Erzählung entwickelt hat, dessen Ergebnisse in der Musikwissenschaft – zumindest in Bezug auf die Darstellungsebene historiographischer Erzählungen – bislang noch nicht berücksichtigt wurden.

    Im Vordergrund der Analyse werden neben „klassischen“ narratologischen Kategorien wie Zeit, Modus, Stimme etc. vor allem Fragen nach der Auswahl und Verbindung der einzelnen Daten zu einer Plotstruktur („emplotment“) sowie nach „Erklärungswirkungen“ in Bezug auf die erwähnten musikalischen Werke stehen. Der Zeitraum der Analyse, die Jahrzehnte um 1900, wurde gewählt, da über diese Zeit bemerkenswert viele konkurrierende Erzählungen kursieren, anhand derer die Problematik des „emplotment“ besonders deutlich wird: von Strauss bis Debussy, Schönberg bis Strawinsky, Ives bis Janacek, von populärer Musik bis zur „öffentlichen Einsamkeit“ der Avantgarde reicht das Spektrum dieser Erzählungen. Um möglichst viele unterschiedliche Erzählstrategien miteinander vergleichen zu können, sollen nicht nur wissenschaftliche, sondern auch populäre Darstellungen dieses Zeitraums berücksichtigt werden. Daneben ist eine Ausweitung des Gegenstands auf möglichst viele alternative Darstellungsmodi der Musikgeschichtsschreibung intendiert, die bewusst von etablierten Geschichtsbildern abweichen – auf der Inhaltsebene bspw. in Form von Gender-Studies, Interpretations- oder Rezeptionsgeschichten etc., auf der Darstellungsebene in Form neuer, experimenteller Erzähltechniken.

    Betreuer: Prof. Dr. Andreas Meyer (abgeschlossen, Publikation)

    KATRIN BECK
    Neue Musik im kirchlichen Raum der 1960er Jahre. Clytus Gottwald und die Folgen

    Clytus Gottwald war von 1958 bis 1970 Kantor an der Pauluskirche in Stuttgart-West. Dort spielte er eine bemerkenswerte Rolle am Schnittpunkt zwischen Neuer Musik und Musik im Raum der Kirche. Vom Blickwinkel der Neuen Musik aus betrachtet kam es zu erstaunlichen Impulsen, zur Komposition und Aufführung von Stücken und zur Realisation von Filmen mit geistlichem Bezug. Auf der Seite der Kirche bestand durch diese Konstellationen eine – seither so nicht wieder erreichte – Gelegenheit zur Partizipation an der künstlerisch avanciertesten Musik der Zeit und den damit verbundenen Debatten. Jedoch kam es zu vehement ausgefochtenen Auseinandersetzungen und Clytus Gottwald zog sich 1970 weitgehend in den geschützteren Konzertbetrieb zurück.

    Zerbrach damals diese kritische Allianz? Wie erging es anderen Akteuren in diesem Bereich, Gerd Zacher, Dieter Schnebel und Klaus Martin Ziegler? Anhand zahlreicher, bislang unbekannter Quellen geht Katrin Beck diesen Fragen nach und untersucht Musik, Filme und Debatten.

    Betreuer: Prof. Dr. Andreas Meyer (abgeschlossen, Publikation)

    CHRISTINA RICHTER-IBÁÑEZ
    Mauricio Kagels Buenos Aires (1946–1957). Kulturpolitik – Künstlernetzwerk – Kompositionen


    Der Komponist Mauricio Kagel wurde 1931 in Buenos Aires geboren, reiste 1957 mit einem DAAD-Stipendium nach Deutschland und arbeitete bis zu seinem Lebensende im Jahr 2008 in Köln. Seit den siebziger Jahren werden über seine Werke Bücher publiziert; besonders seit den neunziger Jahren gab er unzählige Interviews, in denen er sein Leben Revue passieren ließ. Interpretationen seines Œuvres bauten bisher auf diese Aussagen; Ausführungen zu Kagels Biografie gingen den autobiografischen Angaben kaum auf den Grund und zogen auch keine Vergleiche mit anderen zeitnahen Dokumenten. In besonderem Maße galt dies für die Jugendzeit des angehenden Komponisten in Buenos Aires, die kulturpolitisch von einem gravierenden Umbruch geprägt waren.

    Der kulturhistorische Ansatz in Mauricio Kagels Buenos Aires (1946–1957). Kulturpolitik – Künstlernetzwerk – Kompositionen vereinigt Kenntnisse zu Politik, Musik, bildender Kunst, Film und Literatur und verknüpft erstmalig spanischsprachige Veröffentlichungen mit der weitgehend deutschsprachigen Kagel-Forschung, um Kagels Werdegang in Buenos Aires als Interpret, Autor und Komponist zu beschreiben. Die Grundzüge des Peronismus 1946–1955 und der staatlichen Kulturpolitik sowie deren Auswirkungen auf die Kreise der Intellektuellen, auf Verlagswesen und Literatur, bildende Kunst und Filmproduktion sowie Musikleben werden im ersten Teil dargestellt. Davon ausgehend widmet sich der zweite Teil Kagels Lehrjahren, Kontakten zu Musikern und musikalischen Institutionen (von der Gruppe Neuer Musik über die jüdische Gemeinschaft bis zum Teatro Colón), bildenden Künstlern und Architekten (besonders in der Bauhaus-Tradition), Filmförderern (mit besonderem Interesse an surrealistischen Filmen der zwanziger Jahre) sowie Literaten (Jorge Luis Borges, Daniel Devoto, Julio Cortázar, Witold Gombrowicz). Der dritte Teil fokussiert die musikalischen Kompositionen: Anhand der in Buenos Aires entstandenen und aufgeführten Werke von Juan Carlos Paz (1897–1972), Michael Gielen (*1927) und Francisco Kröpfl (*1931) werden kompositorische Entwicklungslinien dargestellt, denen auch Kagel bis 1957 weitgehend verbunden blieb. Seine in diesem Kontext entstandenen Kompositionen werden hier zum ersten Mal mit Manuskripten und chronologisch neu geordnet vorgestellt.

    Betreuer: Prof. Dr. Andreas Meyer (abgeschlossen, Publikation)