La Signora

    La Signora

     

    Zur selben Zeit, als wir mit einigen italienischen Orgelbauern wegen des Baus einer Orgel im Stile des italienischen Frühbarock in Kontakt traten, bot der Marburger Orgelbauer Gerald Woehl ein originales Instrument an, welches er schon Jahre zuvor aus einer venezianischen Kirche, die abgerissen werden sollte, erworben hatte. Die Disposition (Registerzusammenstellung) dieses Instrumentes, welches gegen Ende des 18. Jahrhunderts von einem anonymen Meister erbaut worden war, deckte sich fast vollständig mit der von uns für eine Stilkopie entworfenen Musterdisposition. Aus diesem Grund entschieden wir uns für den Kauf des Instrumentes, welches nach der Restaurierung durch Gerald Woehl Ende 2000 in der Hochschule seinen Platz gefunden hat. Bezüglich der Restaurierung des Gehäuses, bei welcher auch einige fehlende Holzteile rekonstruiert werden mussten, war zunächst an eine neue Farbfassung gedacht worden. Es wäre aber schade um die vielen teilweise skurrilen Graffiti vor allem aus dem frühen 20. Jahrhundert gewesen, mit denen sich alle möglichen Personen verewigt haben. Das mögen Organisten gewesen sein, sicher Bälgetreter, vielleicht auch Chorsänger, womöglich inzwischen auch der eine oder andere Student...? Darum haben wir die Orgel äusserlich so gelassen, wie sie aus Venedig kam, sie bezeugt die Mühe (manchmal vielleicht auch die Langeweile?) vieler.

    Dass eine italienische Orgel aus dem späten 18. Jahrhundert in der Lage ist, die Musik der „grossen“ Zeit der italienischen Orgelmeister vor allem des frühen 17. Jahrhunderts weitgehend authentisch wiederzugeben, liegt daran, dass sich der italienische Orgelbau nur sehr langsam entwickelt hat. Die Disposition unserer Orgel hätte man ohne weiteres auch schon 200 Jahre früher in Rom antreffen können. Ihr Klang ist von dem cantablen, offenen, klaren Typus, wie er auch für so viele berühmte italienische Sänger charakteristisch ist. Dazu kommen zwei wichtige technisch-musikalische Eigenschaften: sie hat eine sogenannte kurze Oktave, was bedeutet, dass die tiefste Oktave der Klaviatur nicht wie normal 12 Töne enthält, sondern nur 8, nämlich C auf der üblichen Taste E, D auf der Taste Fis, E auf der Taste Gis, dann F, G, A, B, H auf den angestammten Plätzen. Damit sind andere, grössere Griffe der linken Hand möglich als auf einer „normalen“ Klaviatur, dies wird für die altitalienische Musik oft vorausgesetzt. Ausserdem ist die Orgel nicht nach dem heute gebräuchlichen „gleichschwebenden“ System gestimmt, bei welchem man alle 24 Tonarten gleich gut (oder gleich schlecht...) spielen kann, sondern nach der sogenannten „mitteltönigen Temperatur“, in welcher nur etwa die Hälfte der Tonarten möglich sind, diese aber dafür wesentlich schöner als im modernen System, ein für die Tonartencharakteristik der alten Musik wiederum entscheidender Umstand.

    Diese Orgel ist nach einer winzigen Kabinettorgel im Württembergischen Landesmuseum nicht nur die älteste in der Landeshauptstadt, sondern auch die einzige spielbare, die wirklich als „historische“ Orgel gelten kann. Interessant ist auch, dass sie als einzige der drei Orgeln im Orgelsaal in der klanglichen Präsenz nicht merklich nachlässt, wenn der Raum voll besetzt ist: sie war eben für einen deutlich grösseren Kirchenraum gebaut!